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Journalismus vor allem von Strukturwandel und Flexibilisierung bedroht

Eingestellt am 14.09.2010

Münster. „Die Sparpolitik und Niedriglöhne meist weit unter Tarif sind für Journalisten inzwischen an der Tagesordnung.“ Mit diesen klaren Worten leitete Werner Hinse, Vorsitzender des Pressevereins Münster-Münsterland e.V., die Podiumsdiskussion am 7. September im Lesesaal der Stadtbibliothek Münster ein. Veranstalter waren die Deutsche Journalisten-Union (dju) in ver.di Münsterland und der Presseverein. Unter dem Titel „Leih Dir eine Meinung!“ diskutierten vier Referenten die Bedeutung und die Auswirkungen von Zeit- und Leiharbeit für den heutigen Journalismus zunächst auf dem Podium und anschließend auch mit den rund 30 anwesenden Zuhörern. Werner Zeretzke, stellvertretender Vorsitzender der dju, moderierte die Veranstaltung.

In der Diskussion stellte sich bald heraus, dass weniger die Leiharbeit als solche, sondern vielmehr der Strukturwandel in der Medienwelt – im Münsterland insbesondere in den Verlagen, die sich zu Medienunternehmen wandeln – und die damit verbundene Flexibilisierung die aktuellen Probleme schafft. „Was bei der MZ passiert ist oder gerade passiert, sind Outsourcing-Prozesse“, meinte Diskutant Werner Stolz, Bundesgeschäftsführer des Interessenverbandes Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ). Er bezog sich damit auf die in der Öffentlichkeit vehement kritisierte Freisetzung einer ganzen Lokalredaktion im Januar 2007 bei der Münsterschen Zeitung und auf weitere Maßnahmen des Verlegers Lensing-Wolff, Kosten durch Personalabbau bzw. Gehaltssenkung zu reduzieren. Stolz verteidigte mehrfach seine Branche gegenüber Vorwürfen, Lohndrücker zu sein oder gegen das Arbeitsrecht zu verstoßen. Im Mai sei sogar ein Tarifvertrag mit den DGB-Gewerkschaften unterschrieben und eine Prüfstelle ins Leben gerufen worden. Er gab die Zahl der derzeit bei Zeitarbeitsunternehmen beschäftigten Redakteure mit 243 an, was einer Quote von nur 0,36 Prozent entspreche.

Kajo Döhring, Bundesgeschäftsführer des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), bestätigte zwar die bislang geringe Leiharbeitsquote bei Journalisten, „doch müssen wir jeden Einzelfall beklagen, um den es geht“. Befristete Arbeitsverhältnisse, Stellenabbau und Arbeitsverdichtung sowie massive Einsparungen seien die Gründe für nachlassende Qualität insbesondere im Lokaljournalismus. Dazu trage die derweil herrschende „Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Redaktionen“ bei, wo sich nach Tarif bezahlte ältere Kollegen schlecht bezahlten jüngeren gegenüber säßen. Grund für dieses Verlegerverhalten seien überzogene Renditeerwartungen. Zudem sei der jahrzehntelange Grundkonsens zwischen Verlegern und Gewerkschaften, der besonderen Bedeutung der Pressefreiheit wegen die journalistische Arbeit angemessen tariflich zu bezahlen, in den vorangegangenen zehn Jahren von Arbeitgeberseite aufgekündigt worden.

Um den möglicherweise negativen Einfluss von befristeten Arbeitsverhältnisse bei Journalisten auf deren kritische Arbeitshaltung sorgt sich Arbeitsrechtlerin Veronica Bundschuh. „Wer rechtlich so wenig abgesichert ist wie etwa bei der Leiharbeit, der wird durch eine kritische Berichterstattung keinen Anlass zu einer schnellen Kündigung geben wollen.“ Die Juristin informierte über die EU-Leiharbeitsrichtlinie, die Deutschland bis November 2011 in eigenes Recht umsetzen müsse. „Sie wird Standards für die Zeitarbeit setzen und dabei auf dem Gedanken der Gleichbehandlung fußen.“ Andererseits fördere die Richtlinie die Flexibilisierung, ohne jedoch feste Arbeitsverhältnisse auszuhöhlen.

Über die Bedeutung eines kritischen und unabhängigen Journalismus in der Zukunft war auf dem Podium schnell Konsens hergestellt. Einig war man sich auch in der Einschätzung, dass das „Modell Schlecker“, Arbeitnehmer erst zu entlassen und zu schlechteren Bedingungen wieder einzustellen, ein Schlaglicht auf das Problem des Lohndumpings geworfen habe. Um diesen „Drehtüreffekt“ künftig zu unterbinden, sei ein Gesetzentwurf in Arbeit, so Karl Schiewerling, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Ferner setze er sich wie auch seine Fraktion für einen tariflichen Mindestlohn in der gesamten Zeitarbeitsbranche ein. In diesem Punkt gebe es aber keinen Konsens in der Bundesregierung.

Den Journalismus bezeichnete der Abgeordnete als „einen ganz besonderen Bereich in der Wirtschaft, der erheblichen Strukturänderungen unterworfen ist.“ Dass diese Änderungen Folgen haben, hat Schiewerling selbst schon bemerkt, vor allem in seinem münsterländischen Wahlkreis: „Da gibt es immer mehr Journalisten, die die Akteure vor Ort und die Zusammenhänge nicht mehr kennen.“

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